Säuglingspflege zur Vorbeugung frühkindlicher Störungen
Das erste Lebensjahr ist die Grundlage aller weiteren körperlichen, emotionalen und psychosexuellen Entwicklung.
Obwohl der Organismus zum Zeitpunkt der Geburt für das körperliche Leben vollständig ausgerüstet ist, verbleibt der Säugling noch in einem besonders sensiblen Zustand als direkter Fortsetzung des vorgeburtlichen Lebens. Der Übergang ist also bei der Geburt noch nicht vollendet.
Das Kind braucht danach etwa noch einmal so lange, ca. neun Monate bis zu einem Jahr, bis die wesentlichen psychischen und neurophysiologischen Umstellungsprozesse abgeschlossen sind.
Während dieser enormen inneren Veränderungen lässt sich das Kind tragen und wiegen und schlummert sich durch die Wochen und Monate. Innerlich setzt es sich auf seine feine und spezifische Art mit dem Anpassungsprozess auseinander. Körperlich ist es eher passiv und vollständig abhängig von äußerer Fürsorge. Psychisch ist es allerdings dabei, immer wieder aufs Neue seine Energiequellen zu erschließen. Im stillen Halbschlummer ereignen sich bemerkenswerte Prozesse, die die Grundlage für die psychische und emotionale Entwicklung schaffen und die für vitale, kreative, feinmotorische und kognitive Fähigkeiten wesentlich sind. Diese inneren Ereignisse sind Teil des wunderbaren „Naturtalentes“ des neugeborenen Kindes. Sie werden dann umfassend gefördert, wenn seine grundlegenden Bedürfnisse zufrieden gestellt sind und es sich seinem bereichernden Innenleben in aller Ruhe hingeben kann. Kann es z.B. beim Nähren so lange saugen, bis es wirklich von Herzen zufrieden ist, kann es in eine deutliche Phase der Entspannung und sogar in einen tranceähnlichen Zustand gelangen; die dabei vorherrschenden Gehirnwellen (Alpha-, Theta- und Deltawellen) fördern die Entwicklung und den Stressabbau.
Auch der sog. REM-Schlaf (Rapid Eye Movement), der für eine intensive Stimulation des zentralen Nervensystems, das Wachstums des Gehirns und die geistige Entwicklung wichtig ist, wird durch das ungestörte Saugen und zufriedengestellte Bedürfnisse gefördert.
Und es ist ganz wesentlich, dass sich die Mutter/der Vater/die Bezugsperson entsprechend auf das Baby einstellen und nach und nach erkennen können, welche Bedürfnisse das Kind gerade hat und wie es sie gern erfüllt haben möchte.Ein gesundes Baby möchte ganz einfach: sensible Betreuung, sanfte Berührung, Geborgenheitsgefühle, Ruhe, erfüllende Erlebnisse beim Stillen oder Nähren mit der Flasche, genussvolles Nuckeln und eine stimmige Beziehung mit den Eltern.
Denn ein stabiles erstes Lebensjahr ist wie ein Haus mit einem soliden Fundament, wie ein Baum mit tiefen Wurzeln. Es schenkt dem Kind emotionale Integrität, Kraft und Ausdauer, um den Stürmen des Lebens standzuhalten.
Wenn Säuglinge in der Erfüllung ihrer instinktiven Wünsche gestört werden, entwickeln sie zunächst bestimmte Stresssymptome (wie z.B. Koliken, Schlaflosigkeit, Apathie, Hyperaktivität, erhöhte Anfälligkeit, Schreibaby-Syndrom usw.). Allmählich verlieren sie ihre Fähigkeit zur Selbstregulation. Der anhaltende Stress baut sich in ihrem Organismus weiter auf und kann nicht mehr abgebaut werden. Dann entstehen langfristige Störungsmuster.
Häufig sind es ganz subtile Vorgänge, die das Kind in seiner Entwicklung stören können und die oft ganz leicht zu vermeiden sind, wenn die Eltern genügend über die Bedürfnisse ihres Babys Bescheid wissen.
Besonders wesentlich ist die Vermittlung folgender Erkenntnis: Die Definition von Stress und Angst kann aus der Sicht von Erwachsenen ganz anders aussehen als aus der Sicht des Babys. Was wir Erwachsene oft als „trivial“ ansehen, kann für ein Baby tiefe Ängste, Stress, Schock usw. auslösen. Deshalb ist es so wichtig, die Bedürfnisse und Gefühle aus der Sicht des Säuglings zu betrachten und genauer zu definieren, was Säuglingsstress und -angst beinhaltet. Und wie man zwischen den verschiedenen Stadien innerhalb des ersten Lebensjahres (0-3, 3-6 und 6-9 Monate) differenzieren kann, weil die Bedürfnisse und Gefühle des Babys in diesen Phasen sehr unterschiedlich sind.
Ein weiterer möglicher Störfaktor kann darin bestehen, dass Babys viel zu früh äußeren Reizen und einem bestimmten „Wachstumsstress“ ausgesetzt werden, die sie überfordern. Entwicklung braucht Zeit. Ein frühreifes Aufwachsen beraubt das Kind seines natürlichen Reifeprozesses und führt dazu, wichtige Stadien zu überspringen oder zu schnell zu durchlaufen, die es dann später im Leben kompensieren muss.
Wichtig zu wissen ist also, was Säuglinge brauchen, wie subtile frühkindliche Störungen entstehen können, warum sie seelisches Leiden, neurotisches Verhalten und psychosomatische Erkrankungen verursachen können und wie Eltern diese Störungen am besten vermeiden können.